Die Geschichte

Medizinische Hintergründe | Zeitlicher Ablauf | Konsequenzen
 

1. Medizinischer Sachverhalt

Wirkungsweise und Nebenwirkungen

Duogynon wurde als Injektion und Drageeform sowohl als Schwangerschaftstest, als auch zur Behandlung ausbleibender Monatsblutungen (sog. sekundäre Amenorrhöe ) eingesetzt. Durch mangelnde Aufklärung der Ärzte durch Schering wurde die Drageeform auch nach 1973 oftmals als Schwangerschaftstest verschrieben. 1978 wird es in Cumorit umbenannt und weitervertrieben. Seit Anfang der 70er Jahre gab es schon Urintest, aber diese wurden nicht von der Kasse übernommen. Nach 1981 wird das Medikament noch jahrelang in Ländern der dritten Welt verkauft.

Durch die Einnahme des Präparates ließ sich innerhalb von einer Woche eine Blutung auslösen, ein Ausbleiben der Blutung deutete mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine Schwangerschaft hin. Unter der Hand wurde Anfang der sechziger Jahre bekannt, dass sich Duogynon in hochdosierter Form als Abtreibungsmittel für Schwangerschaften im Frühstadium eignete. Die Menge des eingesetzten Wirkstoffes Norethisteron (Dragees 2x10mg) im Schwangerschaftstest Duogynon könnte man mit der einmaligen Einnahme von in etwa ein bis zwei Monatsrationen hormonbasierter Antibabypillen vergleichen.

Genauere Erklärung: Die Tabletten enthielten das Progestin (synthetische Gelbkörperhormon) Norethisteron und das Östrogen Ethinylöstradiol. Duogynon gab es auch in einer weiteren Applikationsform als Spritzampullen. In den Spritzampullen waren die Inhaltsstoffe n i c h t dieselben wie in den Tabletten. Inhaltsstoffe waren nun: Progesteron, Östradiolbenzoat.

Zahlreiche Frauen, die Duogynon während der Schwangerschaft eingenommen hatten, gebaren kranke oder behinderte Kinder. Die häufigsten Erkrankungen und Behinderungen waren folgende: Wasserkopf, Missbildung der Extremitäten, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Herzfehler und Fehlbildungen der Genitalien, offene Rücken, offener Bauch und offene Harnröhre u.a..

 

Kategorien der genannten mutmaßlichen Duogynonschädigungen:

  • 141 Meldungen zu Skelettalen Missbildungen (Gliedmaßen, Offener Rücken, LKG Spalte…)
  • 66 Meldungen zu Organen und weitere innere Schäden (Augen, Ohren, Offener Bauch, Herz…)
  • 64 Meldungen zu Urologischen Schäden (Blasenekstrophie/Epispadien, Ausscheidungsorgane, Blase…)
  • 58 Meldungen zu Todesfällen (Fehlgeburten, Babys die aufgrund schwerster Missbildungen starben, gewollte Abtreibungen)
  • 26 Meldungen zu Gehirnschädigungen (Wasserkopf…) und weitere.

Dies sind Meldungen, die nach über 30 Jahren gemacht wurden; in mehr als 11.000 Emails. Es muss damals noch viel mehr Fälle gegeben haben.

Zeitlicher Ablauf

1950: Schering bringt das Präparat Duogynon auf den Markt.

1958: Schering führt das Präparat unter dem Namen „Primodos“ in England ein.

1960: erste Untersuchungen werden bekannt, denen zufolge Blutungen auch trotz einer bestehenden Schwangerschaft eintreten können.

1967: im britischen Wissenschaftsjournal „Nature“ wird eine Studie der Ärztin Isabel Gal veröffentlicht, in der ein Zusammenhang zwischen hormonellen Schwangerschaftstests und Missbildungen des Zentralnervensystems vermutet wurde. Gal stellt fest, dass Mütter missgebildeter Kinder zu einem überdurchschnittlich hohen Prozentsatz hormonelle Schwangerschaftstests durchgeführt haben (von 836 Müttern missgebildeter Kinder hatten 93 das Hormonpräparat während der Schangerschaft eingenommen).
Der Forschungsdirektor der britischen Schering-Tochterfirma (Schering Chemicals Ltd.) findet heraus, daß Missbildungen wie deformierte Arme und Beine, Wolfsrachen und Wasserköpfe bei Neugeborenen in Regionen mit höheren Duogynon-Verkaufsziffern auffallend häufig sind. Die britischen Schering Manager der Tochtergesellschaft weisen die Berliner Zentrale auf “Schwierigkeiten bei Duogynon/Primodos” hin. In diesem Brief heißt es wörtlich: „Wir müssen bezüglich des möglichen Zusammenhangs von Primodos und Geburtsschäden zu einer Lösung kommen. Als Hersteller ist es unsere moralische Pflicht, alles Menschenmögliche zu unternehmen, die Sicherheit unserer Produkte zu gewährleisten.“ In den folgenden Jahren kommen weitere Studien zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Hormonpräparaten während der Schwangerschaft und missgebildet geborenen Kindern besteht. Andere Studien kamen hingegen zu dem Ergebnis, dass diese Zusammenhänge statistisch nicht signifikant sind.

1969: Im Juli verschickt Schering Berlin an britische Ärzte eine Broschüre mit der Versicherung, dass eine bestehende Schwangerschaft durch die Einnahme von Primodos nicht beeinträchtigt werde.

1970: Die britischen Behörden verbieten Primodos (in Deutschland Duogynon) als Mittel für den Schwangerschaftstest. Schering streicht daraufhin die Indikation Schwangerschaftstest in GB, nicht aber in der BRD.

1970: Die britische Arzneimittelkommission warnt vor Primodos.

1971: der kritische Arzneimittelinformationsdienst „Arznei-Telegramm” warnt das erste Mal in der Bundesrepublik vor der Anwendung von Gestagen-Östrogen Kombinationen in der Frühschwangerschaft.

1972: Schering streicht im November die Indikation Schwangerschaftstest für Duogynon Dragees in der Bundesrepublik. Duogynon wird in Injektionsform weiterhin als Schwangerschaftstest empfohlen. Die Injektionsform ist gegenüber den Dragees chemisch variiert worden.

1975: Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft warnt vor der Anwendung von Duogynon bei Schwangeren. Trotzdem empfiehlt Schering die weitere Anwendung als Schwangerschaftstest. Mit Billigung des Bundesgesundheitsamtes wird Duogynon weiter an Schwangere verschrieben obwohl ungefährliche Testmittel seit geraumer Zeit auf dem Markt sind.

1978: Nach dem Beispiel Schwedens, Finnlands, Belgiens, Australiens und der Niederlande wird Duogynon auch in Großbritannien endgültig aus dem Verkehr gezogen. Die deutsche Schering nimmt im März zunächst lediglich die Empfehlung von Duogynon für Schwangerschaftstests zurück. Im September wird das Präparat in „Cumorit“ umbenannt, auf der Packung wird der Hinweis aufgedruckt, dass es nur bei nachweislich nicht schwangeren Frauen eingesetzt werden solle.

1980: Im September teilt Schering mit, dass die Behandlung sekundärer Amenorrhöe durch Cumorit medizinisch überholt sei.
Im Oktober stellt Schering die Produktion von Cumorit ein.

1981: Cumorit wird in Deutschland aus dem Handel gezogen.

1987: In Afrika, Kolumbien, Mexiko und den Philippinen wird Cumorit/Duogynon vom Markt genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Duogynon dort zur Behandlung der sekundären Amenorrhöe vertrieben worden.

Aktivitäten der Betroffenen

1978 wird in Großbritannien die „Association for children damaged by hormone pregnancy tests“ gegründet. Ender der 70er Jahren gab es in England erste Klagen gegen Schering.

In Deutschland wird die Interessengemeinschaft dougynongeschädigter Kinder e.V. von rund zweihundert Eltern behinderter Kinder gegründet. Sie führen die Missbildungen bei ihren eigenen und mindestens vierhundert anderen Kindern auf die Einnahme von Duogynon zurück. Ein auf Anzeige der Interessengemeinschaft hin eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft beim Landericht Berlin (Az.: 1 Wi Js 329/78 ) wurde am 19.12.1980 eingestellt.
Hauptgründe: Das ungeborene Leben war im Mutterleib noch nicht gesetzlich geschützt. Der absolute Nachweis der Missbildungen durch das Medikament konnte nicht zu 100% erbracht werden, obwohl vieles darauf hindeutete.

Die Cooperation gegen Bayer Gefahren befasst sich mit dem Thema Duogynon.

Am 12.5.2009 fordern englische Medikamentenopfer auf der Hauptversammlung der Bayer AG in Düsseldorf eine Entschuldigung des Konzerns sowie finanzielle Kompensationen. Zwei Mitglieder des Betroffenen-Verbandes „Association for children damaged by hormone pregnancy tests“ reisten auf Einladung der Cooperation gegen Bayer Gefahren (CBG) zu diesem Zweck nach Deurtschland.

Sommer 2010: Das Thema Duogynon erscheint  durch diverse Berichte auf WDR Hautnah und im Spiegel wieder in den deutschen Medien. Im Juni 2010 wird eine Auskunftsklage nach §84 AMG eingereicht.

Bayer verweigert alle Auskünfte und hält die Sache für verjährt.

30.11.2010: Gerichtstermin am LG Berlin. Nahezu alle deutschen TV Sender, Zeitungen und Nachrichtenagenturen berichten über den Prozess.

Urteilsverkündung am 11.01.2011: Das LG Berlin entschied auf Verjährung, da Bayer die Einrede der Verjährung benutzt hatte. Es wurde aber nicht über Details, Untersuchungen, Studien und sonstige Zusammenhänge gesprochen.

Es wurde Berufung eingelegt.  Aufgrund eines Formfehlers liegt die Berufung momentan beim BGH. Er entscheidet über die Zulassung (Stand Okt 2011).

-Am 16.11.2011 wurde nun auch eine Haftungsklage gegen Bayer am LG Berlin eingereicht.

07.09.2012: LG Berlin entscheidet auf Verjährung. Der Richter stellt klar, dass Moral und Recht zwei unterschiedliche Sachen sind. Er fordert Bayer auf sich zu bewegen und mit den Betroffenen zu sprechen.

22.10.2012 – Keine Berufung wg. der Verjährungsfrage: Wir haben uns entschieden den zivilrechtlichen Klageweg wegen des erheblichen Prozessrisikos nicht weiter zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Berufungsgericht sich nicht mit den inhaltlichen Fragen befassen kann, sondern sich ausschließlich mit der Verjährung befassen muss, ist sehr groß. Wir werden jedoch die Interessen der Geschädigten weiterverfolgen und nunmehr andere Wege gehen. Dazu erfolgen in Kürze weitere Informationen.

In England findet seit Herbst 2015 ein Untersuchungsausschuss statt. Zahlreiche Abgeordnete unterstützen die Aufklärungsversuche.

Frühjahr 2016: Kleine Anfrage der Linken im Deutschen Bundestag.

 

13. März 2019 Fachgespräch zu Duogynon im deutschen Bundestag

3. Konsequenzen

Bisher wurde keinem der Opfer eine Entschädigung gezahlt. Das hängt damit zusammen, dass es zum Schädigungszeitpunkt noch keine spezialgesetzliche Norm gab, nach der man Entschädigungsansprüche geltend machen konnte. Aber das galt auch für Contergan. Man hatte die Contergan-Opfer über eine Stiftungsregelung entschädigt, wenn auch unzureichend. Es fragt sich, warum bisher für die Duogynon-Opfer keine vergleichbare Lösung gefunden werden konnte.

Es würde sicherlich auch das Ansehen des pharmazeutischen Unternehmers verbessern, wenn er sich endlich zu einer entsprechenden Lösung entschließen könnte. Insbesondere der Hersteller von Duogynon sollte endlich bereit sein die Akten offenzulegen und aufzuzeigen was er wirklich wusste. Ziel der Geschädigten muss es sein und bleiben, auf eine solche Lösung hinzuarbeiten.